Wachsam bleiben!

Couleur: Was gibt’s Neues bei Pro Gymnasium?

Türtscher: Seit November 2018 sind wir nun – mit der Bestellung von Norbert Santner – in allen neun Bundesländern mit eigenen Landesorganisationen vertreten.*

Couleur: Ist das wichtig, da seit Minister Faßmann die Bildungspolitik in Österreich eh „nach unseren Vorstellungen“ gestaltet wird?

Türtscher. Auf alle Fälle, in der Politik können sich die Dinge schnell ändern – erst kürzlich hat der Tiroler Landeshauptmann Platter seine Vorliebe für die Gesamtschule bekräftigt – und auch in Vorarlberg gibt es eine rührige Gesamtschulszene. Sie hat zwar keine Mehrheit in der Bevölkerung, weiß sich aber mit Unterstützung der Medien, Interessensvertretungen und einigen Landespolitikern in Szene zu setzen.

Couleur: Wie groß war denn der Einfluss von Pro Gymnasium auf die bildungspolitischen Entscheidungen im Laufe des Jahres 2017, die ein vorläufiges Ende für die Gesamtschule in Österreich gebracht haben.

Türtscher: Das können wir nicht abschließend beurteilen, aber wenn ich bewerte, was wir ständig hören, doch relativ groß. Wir haben immer darauf hingewiesen, dass mit der Einführung der Gesamtschule keine Probleme gelöst werden und dass es dafür in der Bevölkerung keine Mehrheit gibt.

Couleur: Wie ist es zu Gründung von Pro Gymnasium gekommen?

Türtscher: Am 2. Oktober 2014 hat sich in Innsbruck Pro Gymnasium der Öffentlichkeit vorgestellt – Proponenten waren damals Peter Retter, Marina Floriani, Ronald Zecha, Norbert Mutz und Florian Dagn. Die konkreten Forderungen waren:
• Aufhebung der Blockade einer sachlichen Bildungsdebatte durch Beendigung der Gesamtschuldiskussion
• Erhalt des achtjährigen Gymnasiums (Vielfalt des Angebotes für Vielfalt der Begabungen und Interessen; Wahlmöglichkeit für Eltern)
• Änderung der Aufnahmekriterien am Gymnasium, längerfristiges Prognoseverfahren statt Notendruck am Ende der Volksschule
• Eine AHS-Langform in jedem österreichischen Bezirk
• Errichtung zusätzlicher Oberstufen-Standorte (ORG, BMHS) zur Erhöhung der Durchlässigkeit (insbesondere in ländlichen Regionen)
• Mehr Wertschätzung gegenüber der beruflichen Bildung und den Lehr-(Handwerks)berufen
• Verstärktes Erkennen und Beheben von Defiziten im Kindergarten-, Vorschul- und Volksschulalter, aber auch in der Erwachsenenbildung
• Mehr Unterstützungspersonal für Lehrer und Schüler (z.B. Psychologen, Sozialarbeiter) und Stärkung der Schulpartnerschaft
• Qualitativer Ausbau der ganztägigen Angebote und Verstärkung des kostenlosen Förderunterrichts sowohl für Begabungen als auch für die Kompensation von Defiziten.

Couleur: Blieb das auf Tirol beschränkt?

Türtscher: Nein, Vorarlberg folgte auf den Fuß. Bereits am 11. Dezember 2014 wurde die Landesgruppe Vorarlberg – ich war und bin Landessprecher –der Öffentlichkeit im Zuge einer Pressekonferenz bekannt gemacht. Ein Glücksfall für uns war, dass die Vorarlberger Schülerunion im Rahmen ihrer Kampagne „Talente durch Vielfalt“ uns vorstellte. Man konnte den durchaus gesamtschulaffinen Journalisten ihren Unmut anmerken! Die öffentliche Präsentation des sehr prominenten Unterstützungskomitees erfolgte dann am 26. Februar 2015. Am 8. Juli 2015 wurde in Innsbruck der österreichweite Verein konstituiert. Zum Obmann wurde Altlandesrat Dr. Rainer Gögele, CLF, aus Vorarlberg gewählt, was sich als Glücksfall entpuppte. Weiters gehörten dem Vorstand Isolde Woolley, Peter Retter, Norbert Mutz, BES, AIn, Matthias Hofer, NOH, BOW, Alp, Marina Floriani, Florian Dagn, Johannes Schretter, Ronald Zecha, TTI, The, Thomas Plankensteiner, R-B, Cld und ich an. Die Gründung der Landesgruppen Salzburg, Tirol, Ober- und Niederösterreich gelang sehr schnell, im Osten Österreichs zog es sich – und im November 2018 hatten wie dann „alle Neune“!

Couleur: Da sind ja ganz schön viele MKVer und CVer dabei!

Türtscher: Im engeren Kreis des Vorstandes waren und sind fast ausschließlich katholisch Korporierte tätig. Das ist ein Qualitätsmerkmal, da kann man sich verlassen!

Couleur: Wie siehst Du das bildungspolitische Engagement der großen Verbände MKV und ÖCV?

Türtscher: In der ganzen Zeit des aktiven Kampfes konnten wir uns auf beide Verbände absolut verlassen – sie haben uns durch Beschlüsse und Öffentlichkeitsarbeit aktiv unterstützt!

Couleur: Wie gestaltete sich Eure Tätigkeit.

Türtscher: Wir konzentrierten uns auf die Öffentlichkeitsarbeit und das politische Lobbying – vor allem auf Bundesebene ist und war natürlich die Bundes-ÖVP unser Ansprechpartner. Durch die Beschlussfassung des neuen ÖVP-Grundsatzprogramms im Mai 2015 mit einem klaren Bekenntnis zum differenzierten Schulsystem gelang ein wichtiger Zwischenerfolg; hier haben sich der damalige Generalsekretär der ÖVP und heutige Minister Gernot Blümel und der ÖAAB mit Obmann Gust Wöginger sehr verdient gemacht.

Couleur: Und die berühmte „Modellregion Vorarlberg“ mit dem „Forschungsprojekt“?

Türtscher: Das Forschungsprojekt war eigentlich von Anfang nicht das Ergebnis systematischer Politik, sondern die Reaktion auf die gescheiterte „Modellregion Lustenau“ im November 2012. Es erfüllt auch den Anspruch der Wissenschaftlichkeit nicht. Der Vorarlberger Landtag beschloss zwar im Juli 2015, man könnte die Gemeinsame Schule als Ende der Reformbemühungen einführen, wie gesagt könnte – eine andere Form hätte in der ÖVP auch keine Mehrheit gefunden. Trotz vieler medialer Bekenntnisse hat es in Vorarlberg gesamtpolitisch nie eine Mehrheit für die Gesamtschule gegeben. Mit dem Bildungsreformgesetz 2017 ist die „Modellregion“ auch rechtlich nicht mehr umsetzbar – eine allfällige Entscheidung über einen Gesamtschulversuch fällt ausschließlich am Schulstandort!

Couleur: Wo sehr Ihr in Zukunft Eure Aufgabe?

Türtscher: Wachsam bleiben!

Dieses Interview erschien in der Ausgabe 2/2019 des Couleur, der Zeitschrift des Mittelschüler-Kartellverbands.