Martina Ess: Ich bin überzeugte Pro-Gymnasium-Lehrerin

Die Modellregion sorgte vor einigen Jahren für Aufbruchstimmung in Vorarlbergs Schulwelt. Ein groß angelegtes Forschungsprojekt sollte nach zehn Jahren in die gemeinsame Schule der Zehn- bis 14-Jährigen münden. Heute scheint das Ziel außer Reichweite zu sein. Bei Vorarlbergs ÖVP-Spitzenkandidatin zur Nationalratswahl, Martina Ess, hält sich der Ärger darüber wohl in Grenzen. Auf eine Leserinnenfrage bei der Aktion „VN-Leser fragen, Politiker antworten“ antwortet sie: „Ich bin überzeugte Pro-Gymnasium-Lehrerin.“ Die Volksschule zeige, dass die Kluft zwischen Kindern aus bildungsfernen und bildungsnahen Elternhäuser durch gemeinsamen Unterricht nicht kleiner werde. „Die Schulform ist gar nicht so wichtig. Es geht nicht um das Setting, es geht um die Aufgaben. Wir müssen klären, was Schule leisten muss.“ Steht die ÖVP also nicht mehr hinter der gemeinsamen Schule? „Die Bundes-ÖVP ist nie dahinter gestanden. Sie spricht sich seit 2017 ganz klar für ein differenziertes Schulsystem aus.“ Zudem müsse die Schulpflicht durch die Bildungspflicht ersetzt werden.

Apropos Schule: Ein Leser meldet sich per Telefon, um sich bei Ess für ihre Forderung zum Umgang mit Smartphones in Schulen zu bedanken. Ess erläutert: „Kinder sollen in der Schule aufmerksam dem Unterricht folgen. Einige Schulen verbannen das Smartphone bereits aus dem Klassenzimmer. Ich wäre froh, wenn weitere folgen.“ Man müsse digitale Medienkompetenz vermitteln. „Aber dafür braucht es keine Smartphones, sondern Klassenzimmer mit Tablets und Computern.“

Eine Leserin möchte per SMS wissen, wie das Problem der Schließtage von Kindergärten und Schulen in den Sommermonaten in den Griff zu bekommen sei. Da benötige es drei Akteure, antwortet Ess: „Politik, Wirtschaft und Familien.“ Die Politik müsse regionale Campusse schaffen, nicht jede Kleingemeinde könne die Infrastruktur bauen. Die Wirtschaft müsse familienfreundlich sein, Homeoffice und flexible Arbeitszeiten ermöglichen. Und in der Familie müsse über Doppelteilzeit gesprochen werden. „Wenn ein Elternteil 100 Prozent arbeitet, muss der andere automatisch zurückstecken. Mir gefällt auch nicht, dass beide 100 Prozent arbeiten wollen, sollen, müssen“, fährt Ess fort. Auf die Frage einer Leserin zur Pensionsschere spricht sich Ess für ein automatisches Pensionssplitting bis zum zehnten Lebensjahr des Kindes aus. Außerdem müssten Frauen und Mädchen aufgeklärt werden, welche Konsequenzen Teilzeit hat. „Wir Frauen sind auch eigenverantwortlich gefordert, uns gut zu überlegen, wie wir planen.“ Dem Vorwurf einer weiteren Leserin, die Regierung habe nichts für Frauen getan, die mit ihren Kindern zu Hause bleiben, entgegnet sie: „Das stimmt nicht. Wir haben den Familienbonus eingeführt. Außerdem konnten wir nicht das ganze Programm umsetzen, weil wir ja unterbrochen wurden.“

Dass die Grünen kürzlich die Kindergrundsicherung forderten, kommentiert sie so: „Das ist weder innovativ noch neu.“ Ess verweist auf die Volkshilfe, deren Idee es sei. Die Volkshilfe untersucht gerade in einem zweijährigen wissenschaftlichen Projekt die Kindergrundsicherung. „Das macht Sinn, danach kann man in Dialog treten. Denn das Thema ist wichtig.“ Schon jetzt würden Kinder Förderungen erhalten. „Das wurde von den Grünen einfach nicht erwähnt. Wir lassen kein Kind zurück.“

Vorarlberger Nachrichten, 21.9.2019