Helikoptereltern treffen auf die Generation Schneeflocke

Unter Helikoptereltern versteht man überfürsorgliche Eltern, die sich ständig in der Nähe ihrer Kinder aufhalten, um diese zu behüten und zu überwachen. Man verwendet die Metapher eines ständig um die Kinder kreisenden Beobachtungs-Hubschraubers für solche Eltern, deren Erziehungsstil durch Überbehütung und exzessive Einmischung in die Angelegenheiten der Kinder oder Heranwachsenden geprägt ist. – Die „Generation Snowflake“– Schneeflocken – sind Kinder und Jugendliche, die bei der leisesten Kritik schmelzen und mit dem Erwachsenwerden heillos überfordert sind.
Diese Begriffsbestimmung ist notwendig, um die Entscheidung des österreichischen Bildungsministeriums vom 12. März 2021 zu verstehen, die erneut die mündliche Reifeprüfung 2021 absagt und mehr als eine Schularbeit pro Semester verbietet.

Was war das doch für ein Aufatmen im österreichischen Bildungsbürgertum, als die ÖVP im Nationalratswahlkampf 2017 im Bereich Bildung „ungewohnte Töne“ anschlug: Da galt es, das „differenzierte Bildungssystem“ zu erhalten, da sollten Leistungsniveaus durch Noten dokumentiert werden, da waren plötzlich Lehrer wichtiger als schulorganisatorische Fragen, da sollten für benachteiligte Kinder die Sonderschulen wieder ausgebaut werden, die Lehre gestärkt und als Voraussetzung für einen Schulbesuch die deutsche Sprache beherrscht werden. Was heute selbstverständlich klingt, war nach drei sozialdemokratischen Bildungsministerinnen eher ungewöhnlich. Mit der schwarzblauen Regierungsbildung im Dezember 2017 bekamen diese Vorhaben mit Heinz Faßmann dann auch noch ein sympathisches Gesicht! Die an Leistung orientierte bürgerliche Bildungswelt war wieder in Ordnung!

Helikoptereltern und Schneeflocke haben eine unheilige Koalition gebildet und es geschafft, Heinz Faßmann dazu zu bringen, die mündliche Matura 2021 abzusagen und noch dazu den Schulen zu verordnen, im Sommersemester 2021 nur eine Schularbeit zu schreiben. Und das, nachdem das Semester schon einige Wochen alt ist und die Schulen ihren Schülern ganz andere Ankündigungen gemacht haben.

Das Bildungsministerium hatte im Jänner 2021 angekündigt, für die mündliche Reifeprüfung 2021 die Möglichkeit zu schaffen, die Zahl der „Themenkörbe“ bis zu einem Drittel zu kürzen – je nachdem, was schon unterrichtet worden ist. Das wird jetzt alles plötzlich ersatzlos gestrichen!

Seit dem ersten Lockdown im März 2020 haben die Schulen alles unternommen, um den Unterricht unter bisher ungewohnten Bedingungen sicherzustellen – Fernunterricht, geteilter Unterricht, Selbstlernphasen – alles Dinge, die besser geklappt haben, als man sich das vorgestellt hat.

Mit diesen Einschränkungen hat die oberste Schulbehörde ihren Schulen „mitgeteilt“, dass sie es nicht geschafft haben, ihre Schüler ordentlich auf die Reifeprüfung vorzubereiten bzw. ein reguläres Schuljahr abzuwickeln. Möglich war das deshalb, weil das Ministerium mehr auf Eltern- und Schülervertreter gehört hat, denen das momentane Wohlbefinden ihrer Klientel wichtiger ist als seriöse Bildungsarbeit. Helikopter und Schneeflocke haben sich durchgesetzt!

Und was kommt 2022? – Die Maturanten dieses Jahrgangs waren in der 6. Klasse des Gymnasiums bzw. der 3. der BHS, als es zum ersten Lockdown kam. Sie werden argumentieren, dass man von ihnen keine vollwertige Matura verlangen kann, weil sie ja zwei Jahre lang keinen „ordentlichen Unterricht“ erhalten hätten.

Glaubt in Österreich noch irgendjemand, dass die traditionelle Reifeprüfung im bisherigen Umfang noch einmal stattfinden wird?

Wolfgang Türtscher
Dieser Kommentar erschien auch in der Ausgabe 2/21 der Academia, der Zeitschrift des Österreichischen Cartellverbands